LORD

Samstag, 4. März 2017, 18.00 Uhr, Yehudi Menuhin Forum Bern


Die Damen des Vokalensemble ardent singen Arthur Furers Blumenlieder im Vorprogramm des Konzerts der Zürcher Sing-Akademie.

Zürcher Sing-Akademie (Andreas Felber, Leitung)

Damen des Vokalensemble ardent (Patrick Secchiari, Leitung)

 

PROGRAMM:

Arthur Furer (1924-2013): Blumenlieder (Auswahl)

(Die Damen des Vokalensemble ardent, Leitung: Patrick Secchiari)

Ēriks Ešenvalds (*1977): O salutaris hostia

(Die Damen des Vokalensemble ardent & Zürcher Sing-Akademie, Leitung: Patrick Secchiari)

Pierre Villette (1926–1998): Hymne à la Vierge (1955)

Francis Poulenc (1899-1963): Salve Regina (1941)

Frank Martin (1890–1974): Messe pour double choeur (1922/26)

Olivier Messiaen (1908–1992): O sacrum convivium! (1937), Motet au Saint-Sacrement

Julien-François Zbinden (*1917): Lord, op. 93 (1999)


 Arthur Furer «Blumenlieder» für mehrstimmigen Frauenchor a cappella

Aus dem „Heiteren Herbarium“ von Karl Heinrich Waggerl

„Blumen sind Boten Gottes, die blühen, damit wir Menschen nicht vergessen, wie schön seine Schöpfung ist.“

Arthur Furer lässt diese Schönheit in seinen Liedern in einzigartiger Weise erklingen. In der Kombination mit Karl Heinrich Waggerls ironischen Texten, wird dem Publikum in charmanter Art der Spiegel vorgehalten.

 

Wir werden entführt! Nach Frankreich – mit Zwischenhalt in der Westschweiz. Und die, die es von langer, sehr langer Hand geplant haben, beobachten das Geschehen gemeinsam aus gar nicht so weiter Ferne. Unrealistisch? Überwinden wir doch mal mit dem Röstigraben die graue Realität … Unser jüngster Protagonist, Villette ist erst 91, gefolgt von Zbinden, der dieses Jahr 100 wird. Messiaen ist 108-jährig, Poulenc 118 und mit 127 ist Martin noch weit entfernt von den 146 Lebensjahren des aktuell – wenn auch inoffiziell – ältesten Menschen der Welt.

Da kommt viel Lebenserfahrung zusammen – musikalische sowieso – und bei allem Respekt füreinander: die Ausarbeitung der Details unserer «Entführung» gab viel zu reden. Dabei war allen klar, wer den Anfang zu machen hatte, sozusagen den ersten Kontakt herstellen musste: Pierre Villette mit seiner Hymne à la Vierge. Immerhin ist seine Musik, insbesondere seine geistliche Chormusik, im Ausland schon sehr bekannt und beliebt. In seiner Heimat traf er nie auf so viel Zuspruch, was seiner Witwe Josette zufolge, der er Hymne à la Vierge 1955 gewidmet hatte, daran lag, dass er nicht in Paris arbeitete und deshalb auch nicht die Aufführungsmöglichkeiten hatte, die ein Komponist damals brauchte, um in Frankreich weithin bekannt zu werden. Aber viel wichtiger: um ein Publikum zu fesseln, ist diese Motette mit ihrer zarten, schwärmerischen harmonischen Gestalt einfach ideal.

Vollends in ihren Bann ziehen wird uns dann Salve Regina von Francis Poulenc. Anders als Villette ist Poulenc in Paris aktiv, allerdings hat er sich immer vom Conservatoire, an dem sein jüngerer Kollege studierte, ferngehalten. Da seine Werke ab ca. 1945 in Frankreich nicht mehr als zur Avantgarde zugehörig aufgefasst wurden, teilte er aber Villettes Schicksal, mehr Berühmtheit im Ausland zu haben. Wie seine gesamte geistliche Chormusik entstammt das Salve Regina mit seinen schwebenden Klängen und der Klarheit, die keine Effekte und Affekte nötig hat, der Zeit ab 1941, als er durch den plötzlichen Unfalltod eines nahen Freundes mit der Endlichkeit des menschlichen Lebens konfrontiert wurde und sich dem Katholizismus zuwandte.

Man ist sich einig: unsere Entführung soll keine Ängste auslösen. Aber sie soll uns zu persönlichen Betrachtungen führen, vielleicht auch zu Gedanken über Gott und unser Verhältnis zu ihm. Nichts Anderes hat Frank Martin in seiner Messe getan. Der überzeugte Protestant aus Genf komponierte seine Messe 1922, einer Zeit, in der er vor allem in Zürich, Rom und Paris lebte. Den letzten Satz ergänzte er 1926. Dann allerdings verschwand das Werk, in dem er in seinen fünf fast gleich langen Sätzen weniger an der Ausdeutung von Textdetails arbeitete, sondern stärker an der exemplarischen Glaubenshaltung, in der Schublade. «Ich wollte nicht, dass das Werk aufgeführt wird. Ich fand damals, dass ein Ausdruck religiöser Gefühle geheim und der öffentlichen Meinung entzogen bleiben sollte.» 1963 wurde sie dann doch uraufgeführt; in Hamburg. Seitdem begeistert die Messe mit ihrer historischen Tiefenschärfe und ihrer Wirkung, jedes Konzertpublikum – für eine Liturgie war sie ohnehin nie gedacht.

So auf uns selbst zurückgeworfen, lässt Olivier Messiaen mit O sacrum convivium nun die Zeit vollends stillstehen. Tatsächlich hat Messiaen das Stück 1937 als Meditationsmusik während der Eucharistie, also als liturgischen Bestandteil der katholischen Messe komponiert. Bemerkenswert ist, dass es die einzige liturgische Motette dieses von einer tiefen mystischen und dezidiert katholischen Frömmigkeit geprägten Komponisten ist. Dichte, dissonante Akkorde erklingen in einem so langsamen Tempo, dass die Zeit gerinnt. Der Chor singt mit unendlichem Atem, wie eine menschliche Orgel. Komponierte Unendlichkeit? Oder ist Erlösung in Sicht?

Julien-François Zbinden kann sie bieten. 1917 in Rolle geboren, begann der Waadtländer seinen Werdegang am Klavier sowie in Gesang und an der Geige, bevor er 1938 Orchesterpianist wurde. Er begeisterte vor allem auch als Jazzpianist. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Zbinden in der Musikabteilung von Radio Lausanne, wurde 1973 Präsident des Schweizerischen Tonkünstlervereins (bis 1979) und 1987 Präsident der SUISA (bis 1991). Seit 1982 ist Zbinden pensioniert und widmet sich seitdem dem Komponieren. Eine Oper, ein Ballett, 5 Sinfonien, mehrere andere Orchesterwerke, Konzerte, Kammermusik und Chormusik sind bisher entstanden – insgesamt über 100 Werke. Über Lord schreibt Zbinden: «Es ist um drei Sätze herum aufgebaut. Der erste, ‹Lord, you made the night too long› ist der Titel eines Stückes, das Louis Armstrong in den 1930er Jahren aufführte. Die Worte treten nur allmählich in Erscheinung. Das Stück beginnt mit dem Vokal ‹o›, nacheinander von 8 Stimmen präsentiert. ‹O Lord, you made the night› ist Gegenstand eines tristen Fugato-Teils. Dieser wird von einem Tenor beantwortet. Es folgt ein neuer, rhythmisch skandierter Fugato-Teil, der sehr brutal endet. Erst dann singen die Sopran- und Altsolistinnen traurig das Ende des Satzes: ‹too long›.

Der zweite Satz wird feierlich vom Tenor verkündet: ‹Yes Lord, you made the night, but, Lord, you made the sun!›, und dieser wird im Fortissimo von den zwei Chören aufgenommen.

Der letzte Satz, schliesslich, ‹Glory to the Lord,› beginnt voller Freude, und entwickelt sich zu einem triumphalen Choral, bevor er in der Stille endet.»

Mit Zbinden durchlaufen wir also die verschiedensten Gemütszustände – und kehren in der abschliessenden Stille in die Realität zurück.

Margit Klusch